Die Geschichte der koptisch-orthodoxen Kirche in der Schweiz
Dr. Samir F.
Girgis
Die Beziehung der koptisch-orthodoxen Kirche zur
Schweiz und zu
Mitteleuropa geht auf die ersten Stunden des Christentums in dieser Gegend zurück. Die
Christianisierung des grössten Teils der Bevölkerung der Schweiz und dieser
mitteleuropäischen Regionen ist eine direkte Folge der Evangelisation und des Martyriums
der thebäischen Legion, die 6600 christliche Offiziere und Soldaten aus Ober- und
Mittelägypten zählte.
Ende des dritten Jahrhunderts befahl der römische Kaiser Diokletian
(284-305) die Versetzung einer der drei ägyptischen Legionen, nämlich diejenige unter
dem Oberbefehl des Mauritius (=Maurice, was im Koptischen "Der Offizier aus dem
Süden" bedeutet) nach Westeuropa. Sie sollte die Verteidigungslinie, die sich von
Ligurien über die Alpen durch das Wallis und von dort längs der Aare und dem Rhein bis
Nordwestdeutschland erstreckte, unterstützen. Unter anderem sollte sie dazu beitragen,
den Aufstand der Bagauden im Südosten Frankreichs zu unterdrücken.
Die Mitglieder dieser Legion lehnten es kategorisch ab, die römischen
Götter zu verehren, und ihnen, gemäss den damaligen Zeremonien, Opfer darzubringen. Dies
wurde von Kaiser Maximian, Mitregent Diokletians im Westen (286-305), als Meuterei
empfunden, worauf er die Folterung der Legionäre und die Dezimierung der Legion, d.h.
Hinrichtung jedes Zehnten Mitgliedes der Legion, befahl.
Trotzdem hielten die Thebäer an ihrem Glauben und ihrer tiefsten
christlichen Überzeugung fest. Folglich befahl Kaiser Maximian die Intensivierung der
Folterung und die wiederholte Dezimierung der Verbliebenen bis sie sich der Verehrung der
römischen Götter fügen sollten. Da aber keiner der Thebäer von seinem Glauben abliess,
breiteten sich dieses Martern und Morden rasch über alle Lager, wo sich Kohorte der
thebäischen Legion befanden, aus. Dies wurde so lange fortgesetzt bis die ganze Legion
die Krone des Martyriums erlangte.
Während diesen brutalen Massnahmen ereigneten sich mehrere grosse
Mirakel. Das folgende Beispiel möge dies veranschaulichen. In Zürich (dem römischen
Turicum) wurden der thebäische Offizier Felix, seine Schwester Regula und sein Begleiter
Exuperantius nach intensiver Folterung enthauptet (Wasserkirche war der Ort des
Martyriums). Darauf standen sie auf, jeder hielt sein Haupt in den Händen und trug es 40
Ellen, ca. 26 Meter, das Ufer hinauf, knieten dann nieder und legten sich schliesslich zur
Ruhe. An diesem Orte wurden sie bestattet, und später wurde ihnen das Grossmünster der
Stadt Zürich geweiht.
Erwähnenswert ist die Tatsache, dass
dieses Wunder, seit den Anfängen der christlichen Ära bis zu unserem heutigen Tage, auf
dem Stempel des Kantons und der Stadt
Zürich dargestellt wird.
Solche Mirakel haben wesentlich zur ersten intensiven Evangelisation
dieser Gegend beigetragen. Kein Wunder, dass wir viele Mitglieder dieser thebäischen
Märtyrer als Schutzpatrone der Städte in Norditalien, in der
Schweiz und im Rheintal finden. Allein in Deutschland gibt es nicht weniger als 114
Kirchen und Kapellen, die dem heiligen Mauritius geweiht sind. So
hat die erste intensive Verbreitung des Christentums unter den Bewohnern dieser Regionen,
dank dem Zeugnis und dem Martyrium dieser koptischen, ägyptischen Mitglieder dieser
Legion angefangen. Dies geschah ca. 300 Jahre vor der nachfolgenden Evangelisationswelle
durch die irischen Mönche.
Karte mit den Namen der
berühmtesten Märtyrer und den Orten ihres Martyriums
Die Anwesenheit weiblicher Personen unter den Märtyrern der Legion
Der Leser dieser lakonischen Schilderung mag sich wundern, dass unter
den Märtyrern der Legion etliche Frauen waren. Gemäss den damaligen Normen jener Zeit
pflegten die Oberbefehlshaber und hohen Offiziere der römischen Legionen weibliche
Mitglieder ihrer Familien (Mutter, Frau oder Schwester) mitzunehmen. Sie sorgten für das
Wohlbefinden ihrer Söhne, Ehemänner oder Brüder während der langen Feldzüge, die
Monate oder sogar Jahre dauerten. Die heilige Verena z.B. war eine
dieser Frauen.
Die Regeneration der koptisch-schweizerischen Beziehungen der
letzten Dekaden:
Erstaunlicherweise geht ebenfalls die Erneuerung der Beziehungen
der koptisch-orthodoxen Kirche zur Schweiz der letzten Dekaden auf das Martyrium und die
Evangelisation dieser Thebäer zurück.
Auf einer Kirchentagung im August 1962 in Dublin (Irland) traf sich der
Vertreter der koptisch-orthodoxen Kirche, Pater Maqary El-Souriani, der spätere
Bischof Samuel, Bischof für die Oekumene und sozialen Dienste, (der von den islamischen
Fundamentalisten zusammen mit Präsident Sadat ermordet wurde), mit dem Vertreter der
zürcherischen evangelisch-reformierten Landeskirche. Er erinnerte seinen schweizerischen
Kollegen daran, dass das Kreuz durch die Kopten, die Märtyrer der thebäischen Legion, in
die Schweiz gebracht worden war. Darauf lud der Vertreter der zürcherischen Kirche ihn zu
einem Besuch nach Zürich ein, um einen Vortrag über dieses Thema am Orte des Martyriums
der zürcherischen Stadtpatrone Felix, Regula und Exuperantius, nämlich in der
Wasserkirche, zu halten.
Die Verantwortlichen des Kantons, der Stadt sowie der theologischen
Fakultät der Universität Zürich veranstalteten ein festliches Programm für den
koptischen Gast. In der lokalen Presse fand der Vortrag grossen Anklang. Erwähnenswert in
diesem Zusammenhang ist, dass der Festtag des Martyriums dieser Heiligen von Zürich, der
11. September, mit dem Neujahrstag des koptischen Kalenders, des sogenannten
Märtyrerkalenders, zusammenfällt.
Die Anfänge der
kirchlichen Dienste in den letzten Dekaden:
1962-83
Bibelstunden ohne Kirche und Pfarrer
Während seines kurzen Besuches in der Schweiz beauftragte Pater Maqary
den verstorbenen Dr. Kamal Atiya Girgis (1936-1992), der damals an der eidgenössischen
technischen Hochschule in Zürich seine Dissertation vorbereitete und später an derselben
Anstalt Physik dozierte, die Namen und Adressen der Kopten in der Deutschschweiz zu
sammeln, damit man für sie, soweit wie möglich, Gottesdienste organisieren könne;
wahrlich ein bescheidener Anfang, der später grosse vielfältige Früchte, als Folge der
unerschöpflichen Hingabe beider, trug.
Am Anfang wurde eine monatliche Bibelstunde organisiert. Die Heilige
Messe konnte nur dann gefeiert werden, wenn Bischof Samuel, (der frühere Pater Maqary)
gelegentlich mit seinem berühmten kleinen Handkoffer, in dem er die notwendigen heiligen
Gegenstände der Heiligen Messe aufzubewahren pflegte, vorbeikam.
Da die Zahl der Kopten in der Schweiz immer grösser wurde und somit
das Bedürfnis nach geistlicher Betreuung wuchs, bat Dr. Kamal Girgis die koptischen
Pfarrer in den Nachbarländern um ihre Hilfe; den verstorbenen Pfarrer Salib Sourial
aus Deutschland und Pater Johannes El-Baramousy aus Österreich.
Endlich ein koptischer
Pfarrer in der Schweiz
Da die Zahl der Kopten in Mitteleuropa stark zunahm wurde es für die
beiden Pfarrer immer schwieriger, die geistlichen Dienste gleichzeitig in Deutschland bzw.
in Österreich und in der Schweiz zu erweisen. So beschloss Seine Heiligkeit Papst
Schenuda III., der immer sehr bemüht ist, die geistliche Betreuung seiner Kinder im
Ausland zu gewährleisten, einen Pfarrer für die Schweiz zu weihen. Im Juli 1981 weihte
Seine Heiligkeit den Mönch Pater Serapion Elanba Bischoy.
Mit Gottes Hilfe erhielten wir die notwendige Aufenthaltsbewilligung
und fanden für den neuen Pater einen sehr geeigneten Aufenthaltsort. Er wurde als
Gastpater unter seinen Mitbrüdern im berühmten Benediktinerkloster von Einsiedeln, das
Reliquien der thebäischen Schutzpatrone von Zürich, Felix und Regula beherbergt,
willkommen geheissen. Dort durfte er auch sein Theologiestudium fortsetzen.
Die Ankunft Pater Serapions in der Schweiz verzögerte sich dann
allerdings bis Dezember 1983 angesichts der schwierigen Lage, die unsere Kirche und ihre
Führung zu jener Zeit erlebten.
Um keine Zeit mehr mit den bürokratischen Formalitäten zu vergeuden,
wandte sich ein Mitglied unserer Kirche im Juli 1983 direkt an Präsident Hosni Mubarak
und bat ihn um Unterstützung. Der Präsident ordnete umgehend die Erledigung aller
Formalitäten an. Dies ermöglichte Pater Serapion endlich, in die Schweiz einzureisen.
Angesichts der schwierigen Umstände unserer Kirche zu jener Zeit,
konnten wir die offizielle Feier der Einsetzung des ersten koptischen Pfarrers in der
Schweiz erst für den 6. Mai 1984 organisieren. An diesem feierlichen Empfang nahmen
zahlreiche hohe Vertreter der schweizerischen Regierung, alle Vertreter Ägyptens in
unserer Gesandtschaft in Bern unter der Leitung unseres verstorbenen Freundes, Botschafter
Mohammed Lotfi Schabanah, sowie die Vertreter aller Kirchen der verschiedenen Konfessionen
in der Schweiz, teil. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist das Begrüssungswort
Botschafter Schabanas, in dem er den äusserst konstruktiven Beitrag der Kopten in der
nationalen Bewegung hervorhob.
Der Ausbau der geistlichen Dienste 1984/85
Sofort begann Pater Serapion, die kirchlichen Dienste in den
verschiedenen Orten zu regeln, Zürich, Genf, Lausanne, etc.. und dies trotz der grossen
Entfernung. Überdies erlernte er gleichzeitig die deutsche Sprache, was es ihm
ermöglichte, zahlreiche Vorträge und Predigten in deutscher Sprache zu halten und sein
Land und die Kirche auf würdige Weise zu vertreten. Kein Wunder, dass damals mehrere
Artikel über ihn und die koptische Kirche in den lokalen Zeitungen veröffentlicht
wurden.
Die erste allein für die eigene Benutzung bestimmte Kirche erhielten
die Kopten in der Stadt Vernier, einem Vorort der Stadt Genf, gegen eine symbolische
Miete. Die Eröffnungsmesse wurde am Heiligen Abend, den 6. Januar 1986, in Anwesenheit
von Bischof Serapion zelebriert, der von Seiner Heiligkeit Papst Schenuda III. für diese
Feier delegiert wurde. Bis heute gilt diese Kirche als Hauptsitz der Kopten in der
Westschweiz. Vor kurzem gelang es dem Verein der koptisch-orthodoxen Kirche in der
Westschweiz Land in Meyrin, einem Vorort Genfs, für den Bau einer grösseren Kirche zu
kaufen. Die Baupläne sind in Vorbereitung.
Pater Serapion blieb leider nur bis Pfingsten 1985 in der Schweiz, dann
wurde er zum Bischof für die Oekumene und Sozialen Dienste im koptischen Patriarchat in
Kairo geweiht.
Pater Axios Elanba Bischoy (heute Bischof Antony von Schottland
und Irland) wurde bis Juli 1990 als Nachfolger von Bischof Serapion für die Dienste in
der ganzen Schweiz eingesetzt; gefolgt bis November 1991 von Pater Sedrak Elanba
Bischoy (der heutige Patriarch der koptisch-orthodoxen Kirche in Jerusalem und dem
Nahen Osten); danach diente Pater Abiphanios Elanba Bischoy in Genf für eine
Übergangszeit bis März 1992, bis er den neuen Dienst an der päpstlichen Residenz in New
Jersey USA aufnahm. Pater Oranios Elanba Bischoy wurde danach für den Dienst der
Kirchen in der ganzen Schweiz bis März 1993 eingesetzt. Es folgten für die Westschweiz Pater
Theophane Elanba Bischoy während der Zeit seines Stipendiums bis April 1994; dann Pater
Philobatir Elbachomy, der bis heute im Welschland dient.
Von April 1993 bis Mai 1996 wurde Pater Elarion Elanba Bischoy
für die Betreuung der Kopten in der Ost- und Südschweiz eingesetzt. Der geographischen
und sprachlichen Gemeinsamkeit zwischen Norditalien und dem Tessin wegen, wurde die
Betreuung der Kopten im Kanton Tessin dem Bistum von Mailand unter der Leitung von Bischof
Cyril (=Kirollos) zugesprochen. Pater Elarion Elanba Bischoy setzte den Dienst in der
Deutschschweiz bis Mai 1997 fort und konnte die kirchlichen Dienste wesentlich ausbauen
(Basel, Biel, etc..).
Die offizielle Registrierung des "Vereins der koptisch-orthodoxen
Kirche in der Schweiz" ins Handelsregister des Kantons Zürich, erfolgte gemäss
Artikel 60 des schweizerischen Zivilgesetzes am 2. April 1994 (Festtag der Erscheinung der
Muttergottes in El-Zeitoun, Kairo), unter Nummer 600 000 159.
Pater Abifanios Elanba Bischoy wurde als Nachfolger von Pater
Elarion für den Dienst in der Ostschweiz bis Mai 1998 eingesetzt. Mit grosser Hingabe
gelang es ihm alle Aufgaben zu erfüllen, und dies trotz seiner Krankheit und der grossen
Operation, der er sich unterziehen musste. Im Mai 1998 kehrte er nach Ägypten zurück um
die Behandlung fortzusetzen. Seither wurde die geistliche Betreuung der Kopten in der
Ostschweiz Interim Pater Ghobrial El-Baramousy aus dem Bistum Mailand und Pater
Ghabrial Elanba Bischoy aus dem Bistum Deutschland unter Bischof Damian anvertraut.